Ungarische Anfänge

Siebenbürgen gehörte zur Zeit des Bahnbaus zu Ungarn. Dies erklärt auch die für die Donaumonarchie so typische Spurweite von 760 mm, die bei der Wusch zur Anwendung kam.

Konkrete Pläne für eine Schmalspurbahn durch die Harbachtal-Region reiften, nachdem die „große Eisenbahn“ mit der regulären Spurweite von 1435 mm diesen Teil Siebenbürgens sprichwörtlich links liegen gelassen hatte: Sighișoara (Schäßburg, ung. Segesvár) und Sibiu (Hermannstadt, ung. Nagyszeben) hatten ihren Bahnanschluss auf Regelspur bereits 1872 erhalten. Aber auch die etwa auf halbem Weg zwischen Sighișoara und Sibiu gelegene Stadt Agnita (Agnetheln, ung. Szentágota) sehnte sich nach der Eisenbahn. Die Hoffnungen auf einen Aufschwung durch das moderne Verkehrsmittel waren groß.

Treibende Kraft für den Bau einer 760-mm-spurigen Bahn von Sighișoara nach Agnita war ab 1895 der Baron Gabriel Apor, welcher damals vorstehender Obergespann des zuständigen ungarischen Komitats Groß-Kokelburg (ung. Nagy-Küküllő vármegye) und später auch Staatssekretär war. Es entstand eine Lokalbahngesellschaft mit dem ungarischen Namen „Segesvár – Szentágotai Vasút“ (SSzV).

Bereits 1896 gelangten drei Dampfloks nach Sighișoara, die in Wiener Neustadt gebaut wurden und die man fortan bei den Bauarbeiten einsetzte. Der Bau war nicht unproblematisch: Starkregenereignisse und Entgleisungen bereiteten Ingenieuren und Arbeitern ernsthafte Probleme. Die Baukosten schnellten entsprechend in die Höhe.

Eine der ersten drei Dampfloks der Wusch dampft durch die Straßen von Agnita – was zunächst nach einer friedlichen Szene aussieht, zeigt die Mobilmachung im August 1914. Der aufziehende Erste Weltkrieg brachte nicht nur viel Leid, sondern bedeutete gleichzeitig das Ende für weitere Ausbauplanungen der Schmalspurbahn.

1898 nimmt die Wusch den Betrieb auf

Am 16. November 1898 war es endlich soweit: Die Schmalspurbahn Sighișoara – Agnita konnte nach Überwindung aller Schwierigkeiten feierlich ihren Betrieb aufnehmen. Der Gütertransport war bereits einige Monate zuvor möglich gewesen.

Ab dem Folgetag fuhren die Personenzüge planmäßig. Zunächst waren zwei tägliche Zugpaare, also Hin- und Rückfahrten, vorgesehen. In Sighișoara ging es für die Wusch am Fuße der historischen Altstadt mitten durch den Ort. Zwischen Apold (Trappold, ung. Apold) und Brădeni (Henndorf, ung. Hégen) wurde mittels Schleifenentwicklung der Trasse die Wasserscheide zwischen dem Schaaserbach auf Schäßburger Seite sowie dem Harbach auf der Agnethler Seite erklommen. Der erste Bahnhof von Agnita war am Stadtrand errichtet worden, doch man hatte auch ein Gleis bis zum Marktplatz gelegt, so dass die Züge aus Sighișoara bis zum Markt in die Stadtmitte fahren konnten.

Bemerkenswert ist, dass man im Jahr 1900 den Fahrplan an Sonn- und Feiertagen anpasste, indem die Abfahrt eines Zug vorverlegt wurde: Man wollte es dem Publikum somit ermöglichen,

„in ein paar Stunden einen größeren Ausflug [zu] machen und den zwischen den Stationen Trappold und Henndorf gelegenen interessantesten Teil der Eisenbahn an[zu]sehen, sowie von der dortigen Wasserscheide die zum Anblicke gelangenden Fagarascher Gebirge bewundern zu können“.
[zitiert nach Mausolf 2018, S. 29]

Offensichtlich hatte man die Bedeutung einer Bahnfahrt zum Zwecke der Naherholung bereits damals erkannt.

1901 beförderte die Schmalspurbahn über 73.000 Fahrgäste und bewältigte knapp 23.800 Tonnen im Gütertransport. Die wirtschaftlichen Zahlen lasen sich allerdings etwas verhaltener. Dennoch hielt man an einem Weiterbau über Agnita hinaus in Richtung Sibiu fest, um auch das untere Harbachtal (rum. Valea Hârtibaciului, ung. Hortobágy völgy) an die Eisenbahn anzuschließen.

Zwecks Kostenersparnis übertrug man die Betriebsführung 1908 von der Lokalbahngesellschaft auf die ungarischen Staatsbahnen MÁV (Magyar Államvasutak) . In dieser Zeit begann auch der Bau der Fortsetzung nach Sibiu, der sich wesentlich einfacher gestaltete als jener zwischen Agnita und Sighișoara. Für den Weiterbau entstand zunächst eine zweite eigenständige Lokalbahngesellschaft.

1910 erreicht die Schmalspurbahn Sibiu

Am 26. September 1910 fand die offizielle Eröffnung, seinerzeit „kommissionelle Begehung“ genannt, der Verlängerung von Agnita durch das Harbachtal nach Sibiu statt. Die Aufnahme des öffentlichen Verkehrs erfolgte – wie bereits zwischen Sighișoara und Agnita – einen Tag nach den Feierlichkeiten.

Gleichzeitig mit Sibiu – Agnita ging eine Zweigstrecke von Cornăţel (Harbachsdorf, ung. Hortobágyfalva) nach Vurpăr (Burgberg, ung. Vurpód) in Betrieb, die dank von Bemühungen örtlicher Wald- und Großgrundbesitzer entstand. Sie wurde daher auch „Jägerstrecke“ (rum. „linia vânătorilor“) genannt.

Obwohl die Bahnleitung gebeten hatte, von offiziellen Empfängen abzusehen, ließen es sich die Harbachtalgemeinden nicht nehmen, die Eröffnung der mitfinanzierten Strecke entsprechend zu feiern.
[aus Klein 1998: S. 85]

1911 fusionierten beide Lokalbahngesellschaften zur „Hermannstadt-Schäßburger Vizinaleisenbahn-Aktiengesellschaft“ und gleichzeitig ging die Betriebsführung des gesamten Schmalspurnetzes auf die MÁV über.

Weitere Ausbaupläne machte der bald aufziehende Erste Weltkrieg zunichte. Nach dessen Ende musste Ungarn aufgrund des Vertrages von Trianon Siebenbürgen an Rumänien abgegeben. Ebenso ging auch die Betriebsführung der Schmalspurbahn nach dem Ersten Weltkrieg auf die rumänische Staatsbahn CFR (Căile Ferate Române) über.

Während des Ersten Weltkriegs entstand diese Aufnahme, die einige Wagen der Wusch im Schmalspurteil des Schäßburger Bahnhofs zeigt. Im Hintergrund thront der markante Burgberg über der Stadt.

Literaturverweise der Zitate

  • Andreas Mausolf: Kleinbahn im Karpatenbogen. Schäßburg – Agnetheln – Hermannstadt. Railway-Media-Group, Wien 2018.
  • Konrad Klein: Grüße aus dem Bärenland: Siebenbürgen in alten Ansichtskarten. Südostdeutsches Kulturwerk, München 1998.